Kann man sich auf den letzten Blick entfreunden?

Dieser Abend ist still und friedlich. In mir ist es das auch. Und dennoch kreisen meine Gedanken immer und immer wieder um ein Thema, über das ich schon eine Weile lang schreiben möchte. Es ist ein Thema, welches mich beschäftigt, seit ich denken kann.

Es geht um Freundschaft. Was bedeutet es, eine Freundin zu haben? Woran misst man die Qualität einer Freundschaft? Und was sind Gründe, die eine solche Freundschaft beenden können? Urplötzlich. Und geht das überhaupt? Ist eine Freundschaft nicht so etwas wie Liebe? Wenn man sich auf den ersten Blick verlieben kann, kann man sich dann auch auf den letzten Blick entfreunden?

Das sind alles Fragen, die ich hier Wort um Wort mir selbst versuche zu beantworten. Ich habe gerade keinen Plan von diesem Text. Ich weiß nicht, wohin er mich führt. Ich weiß nur, dass ich ihn gerade schreibe und ihn veröffentlichen werde, wenn ich fertig bin und die letzte Frage für mich beantwortet habe.

Was bedeutet es, eine Freundin zu haben?

In der ersten Klasse lernte ich damals ein Mädchen kennen. Ich mochte sie sehr und sie mich. Trotzdem gab es eine Nebenbuhlerin, was diese Freundschaft erschwerte. Diese Nebenbuhlerin ging in der fünften Klasse und es kam eine andere. Die Freundschaft zu dem Mädchen blieb und sie blieb schwierig. Zu dritt ging nicht. Dennoch hätte ich irgendwann mittendrin behauptet, dass sie meine beste Freundin ist. Vor ein paar Jahren heiratete ich meinen Mann und sie wurde meine Trauzeugin. Am Abend vor der Hochzeit zeigt auch sie mir ihren Verlobungsring. Nur wurde nicht ich, sondern die andere ihre Trauzeugin. Ich war unendlich traurig darüber und bin es heute noch tief in meinem Herzen.

Heute habe ich Freundinnen, mit denen ich mir ab und zu schreibe oder Sprachnachrichten schicke. Wir sehen uns hin und wieder und unsere Kinder spielen dann schön miteinander. Es sind angenehme Freundschaften, wenn auch „oberflächlich“ dadurch begründet, dass man sich nur selten sieht. Wir haben einfach nicht die Möglichkeit, tiefer ins Leben der anderen einzutauchen. Direkt da zu sein, wenn wir uns brauchen.

Es sind ganz wenige dabei, mit denen es tiefer geht. Um genau zu sein: eine. Diese Freundschaft ist geprägt von tiefgründigen Gesprächen, sehr viel Respekt und Liebe. Wir sagen uns offen, was wir denken und keiner fühlt sich verletzt. Das ist genau das, was ich an einer Freundschaft so sehr schätze.

Woran misst man die Qualität einer Freundschaft?

Zumindest schon mal nicht an der Häufigkeit der gegenseitigen Besuche, denn nur weil man sich selten sieht, heißt es noch lange nicht, dass es nicht funktionieren kann. Und auch wenn man sich häufig sieht, gibt es keine Garantie für das Gelingen. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Dazu gehört natürlich noch ganz viel Interesse an der anderen und ihren Gedanken, ihrem Leben und ihren Plänen für die Zukunft. Und natürlich kann man auch nicht an der Häufigkeit des Kontaktes messen. Ich habe Freundinnen, mit denen schreibe ich ganz selten und trotzdem werde ich sie nicht so schnell verlieren. Und ich habe welche, mit denen schreibe ich ganz oft und TROTZDEM hab ich das Gefühl, dass ich mit ihnen thematisch auf der Stelle trete. Vielmehr gehören für mich die gemeinsamen Momente zur Qualität. Kann man miteinander lachen und weinen, holt man für die andere die Sterne vom Himmel und würde man im Fall des Falles mit ihr zusammenziehen? Beantworte ich mit ja, weiß ich, dass es tiefer geht.

Was sind Gründe, die eine solche Freundschaft beenden können?

Im ersten Moment denke ich: niemals. Das geht nicht, wenn man gut befreundet ist. Denn was soll einen erschüttern? Fremdgehen kann man ja nicht so direkt und wenn die eine die andere nicht grad beleidigt, dann müsste es doch passen. Müsste. Tut es aber eben nicht immer. Was mich tief bewegt, sind so Momente in denen ich spüre, dass es meiner Freundin nicht gut tut, was ich ihr rate oder sage. Hey, da denke ich, ich kann einer Freundin alles sagen, aber es geht eben nicht. Da sperrt sie sich, weil ich etwas „besser“ weiß, weil es ein Thema ist, mit dem ich mich auskenne. Da komme ich an meine Grenzen und es wirft Fragen in mir auf, wenn sich diese Situation verschärft, in dem mir der Mund verboten wird. Nein. Das fühlt sich dann nicht wie Freundschaft an. Dann mag ich mich zurück ziehen und still und leise leiden, weil ich spüre, dass sich diese Freundschaft zurück bewegt und nicht vor. Weil ich fühlen kann, wie sehr ich nicht gewollt bin. Ich und meine Gedanken und meine Worte. Ja, das ist dann ein Grund zu gehen. Ich bin verletzt. Und mein Herz ist es auch.

Wenn man sich auf den ersten Blick verlieben kann, kann man sich dann auch auf den letzten Blick entfreunden?

Diese Frage bleibt für mich offen, denn auf den ersten Blick verlieben heißt ja, ich wusste vor dem ersten Blick noch nichts von dem Menschen und BÄM war er da. Im Umkehrschluss würde es heißen, dass ich nach dem letzten Blick dann auch nichts mehr von dem Menschen wissen will. Und so ist es ja nicht ganz. Weil die Gedanken weiter kreisen. Was wäre, wenn ich einfach nichts gesagt hätte? Was wäre, wenn mir das Gesagte egal gewesen wäre. Was wäre, wenn … nein. Das ist es gerade, was MIR wichtig ist. Offenheit. Das wünsche ich mir andersrum doch auch so sehr. Und genau dann möchte ich es geben dürfen. In einer Freundschaft, in der beide sich auf Augenhöhe begegnen. Gleichermaßen. Sich alles sagen dürfen, was ihnen wichtig ist. Ohne wenn und aber. Ohne Neid und Missgunst. Ohne Verletztheit. Sondern immer mit dem Wissen, dass es beide niemals böse meinen, weil … ja, weil man sich liebt. Still und friedlich.

4 Kommentare zu “Kann man sich auf den letzten Blick entfreunden?

  1. Oh, das hast du aber schön geschrieben. So toll und warm und ehrlich. Ich bin da ganz bei dir. Ich empfinde Freundschaft als eine Art Liebe, die für die Seele genauso wichtig ist wie eine klassische Liebesbeziehung. Und ich finde genau so, wie es in Liebesbeziehungen ein auf und ab und ein Ende gibt, so ist das auch bei den Freundschaften mit Freundinnen. Manche halten, viele nicht. Manche sind Lebensabschnittsfreundschaften. Viele sind oberflächlich und enden nach dem ersten richtigen Kennenlernen wieder. Manchmal ganz leise und manchmal auch unschön und mit Verletzungen… Wichtig ist, denke ich, dass man sich nicht verbiegt um zu Gefallen. Das funktioniert nicht. Und wenn man einen Menschen gefunden hat, mit dem es bedingungslos, ehrlich und warmherzig funktioniert, dann hat man die richtige, beste Freundin gefunden. Aber das ist sicher nichts selbstverständliches. Genauso wie der Partner fürs Leben zu finden…

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  2. Ein interessanter Beitrag!

    Mir kam ein Gedanke zu diesem Teil hier:
    „Was mich tief bewegt, sind so Momente in denen ich spüre, dass es meiner Freundin nicht gut tut, was ich ihr rate oder sage. Hey, da denke ich, ich kann einer Freundin alles sagen, aber es geht eben nicht. Da sperrt sie sich, weil ich etwas „besser“ weiß, weil es ein Thema ist, mit dem ich mich auskenne. Da komme ich an meine Grenzen und es wirft Fragen in mir auf, wenn sich diese Situation verschärft, in dem mir der Mund verboten wird. Nein. Das fühlt sich dann nicht wie Freundschaft an. Dann mag ich mich zurück ziehen und still und leise leiden, weil ich spüre, dass sich diese Freundschaft zurück bewegt und nicht vor. Weil ich fühlen kann, wie sehr ich nicht gewollt bin. Ich und meine Gedanken und meine Worte. Ja, das ist dann ein Grund zu gehen. Ich bin verletzt. Und mein Herz ist es auch.“

    Oft ist es doch so, wenn jemand so reagiert, dass er im Herzen weiß, man hat recht und es deswegen umso weniger hören möchte. Weil man es nicht so ganz wahr haben will.
    Es gibt immer zwei Seiten.
    Und manchmal ist es in einer Freundschaft auch besser, mal den Mund zu halten. Nicht, weil man nicht offen sein sollte, sondern zum Schutz. Das Nutzen abwägen.
    Und was ganz wichtig ist, mMn, Ich-Botschaften senden. 😊

    Liebe Grüße,
    Lena

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    • Ja, die Überlegung hatte ich weiter unten geschrieben. Sicher ist es manchmal besser, aber in dem Fall war das Thema globaler. Es ging nicht um etwas negatives. Es ging nur um eine Aufklärung 🙂 es war grundsätzlich nix schlimmes an meinen Gedanken.

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